Bewegender Zweitzeugen-Workshop an der Geschwister-Scholl-Realschule in Herford
von Katharina Brand-Parteck
Jugendliche und Abgeordneter werden zu ZweitzeugInnen: Christian Dahm nimmt an Workshop teil

Ein prall gefüllter „Kochtopf der Emotionen“ stand sinnbildlich am Ende eines eindrucksvollen Vormittags an der Geschwister-Scholl-Realschule in Herford: Trauer, Wut, Fassungslosigkeit, Entsetzen – und auch Erstaunen darüber, „dass so etwas in Deutschland passiert ist“.
Der angesprochene Kochtopf wurde gleich zu Beginn eingeführt, damit Schülerinnen und Schüler ihre Emotionen symbolisch reinwerfen können, falls sie die Geschichte emotional überfordert.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b nahmen an einem Workshop des Vereins Zweitzeugen e. V. teil, in dem die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Erna de Vries im Mittelpunkt stand. Einige der Jugendlichen zeigten sich tief bewegt – „alle waren still und aktiv zuhörend“, als die berührende Geschichte der jüdischen Frau erzählt wurde, wie Geschichtslehrer Herr Bartl resümierte.
Auch der Herforder SPD-Landtagsabgeordnete Christian Dahm darf sich jetzt „Zweitzeuge“ nennen. Er war bei der Veranstaltung anwesend und zeigte sich beeindruckt. Dahm hatte sich im Vorfeld dafür eingesetzt, den Verein Zweitzeugen im Kreis Herford bekannter zu machen und dessen Bildungsangebote an örtlichen Schulen auch finanziell zu ermöglichen.
Geleitet wurde der Workshop von Katharina Müller-Spirawski aus Bünde, Mitgründerin und Mitarbeiterin des Vereins. Sie schilderte mit eindrucksvollen Worten das Schicksal von Erna de Vries, die 1923 geboren wurde, Auschwitz überlebte und ihr Leben dem Kampf gegen das Vergessen widmete. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2021 – im Alter von 98 Jahren – erzählte sie unermüdlich ihre Geschichte. In persönlichen Treffen gab sie ihre Erfahrungen an Müller-Spirawski weiter, die heute als sogenannte „Zweitzeugin“ ihre Erinnerung weiterträgt.
„Mehr Glück als Verstand“ habe die damals 20-Jährige gehabt, als sie schwer krank den Todestrakt in Auschwitz in letzter Minute überlebte – nur weil jemand feststellte, dass sie als sogenannte „Halbjüdin“ ins Arbeitslager verlegt werden müsse. Ihre Mutter überlebte das Konzentrationslager jedoch nicht. Besonders die Erzählungen vom Abschied zwischen Mutter und Tochter bewegten die Klasse zutiefst.
Das Konzept des Vereins Zweitzeugen: Junge Menschen werden dazu befähigt, die Geschichten von Überlebenden weiterzuerzählen – als „Zweitzeug*innen“. So bleibt Erinnerung lebendig und wird generationsübergreifend weitergetragen – als Beitrag gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen von Diskriminierung in der Gesellschaft.
„Selten habe ich eine Schulklasse so still und gebannt erlebt“, sagte Christian Dahm im Anschluss. „Die Geschichte von Erna de Vries hat nicht nur die Jugendlichen tief berührt, auch mich. Es ist von unschätzbarem Wert, solche Erinnerungen weiterzugeben. Gerade in Zeiten wachsender antisemitischer Tendenzen brauchen wir solche Bildungsformate mehr denn je.“
Auch das Feedback der Jugendlichen zeigte: Der Workshop hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Es war beeindruckend und erschreckend zugleich“, so eine Schülerin der 9b.
Am Ende richtete Workshop-Leiterin Katharina Müller-Spirawski eine eindringliche Bitte an die Jugendlichen:
„Ich hoffe, ihr tragt die Geschichte von Erna weiter. Die Stimmen der Überlebenden dürfen nicht verstummen.“
Christian Dahm dankte der Schule, der Referentin und dem Verein Zweitzeugen e. V. für ihr Engagement:
„Solche Veranstaltungen sind ein wichtiger Beitrag zur Demokratiebildung und zur Stärkung eines respektvollen und toleranten Miteinanders, auch noch im Jahr 2025. Ich bin dankbar, dass ich dabei sein durfte. Wir müssen aus unserer Geschichte lernen. Viele junge Menschen haben heute keine direkten Berührungspunkte mehr mit dem Holocaust. Umso wichtiger ist die Erinnerung. Besonders beeindruckt hat mich, wie reflektiert die Schülerinnen und Schüler die Geschichte aufgenommen und auf die Gegenwart übertragen haben.“