Erinnerungskultur auch für den Kreis Herford und die Stadt Bad Oeynhausen

von Katharina Brand-Parteck

Dahm und Obrok informieren sich über Verein „Zweitzeugen“ und wollen ihn bekannter machen

Rolf Abrahamsohn überlebte während des Nationalsozialismus sieben Konzentrations- und Arbeitslager. Alle seine Familienmitglieder wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Rolf Abrahamsohn ist vor zwei Jahren verstorben. Seine tief berührende Überlebens-Geschichte aber lebt durch den Verein „Zweitzeugen e.V.“ weiter. Die beiden heimischen SPD-Landtagsabgeordneten Christian Dahm und Christian Obrok waren kürzlich über persönliche Gespräche auf den Verein aufmerksam geworden. Die Abgeordneten trafen sich daraufhin mit der Bünderin Katharina Müller-Spirawski, die den Verein „Zweitzeugen“  zunächst ehrenamtlich während ihrer Studienzeit mitgegründet hat und später als Geschäftsführerin tätig war. Derzeit ist Müller Spirawski nach ihrer Elternzeit als Mitarbeiterin im Verein aktiv.

Insgesamt tragen rund 140 Ehrenamtliche und 20 Hauptamtliche dazu bei, dass die Lebensgeschichten von Holocaust-Überlebenden weitergetragen werden. Der Verein interviewt dabei die Zeitzeugen wie Rolf Abrahamsohn und Erna de Vries. Ihre Arbeit orientiert sich dabei an den Worten des Überlebenden: „Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden.“ Zweitzeuginnen und -zeugen werden auf diese Weise ermutigt, die Geschichten weiterzuerzählen, wenn die Zeitzeuginnen und -zeugen es nicht mehr können. Insgesamt haben die Vereinsmitglieder bereits 40 Menschen getroffen und deren Überlebensgeschichte aufgearbeitet.

Die Interviews werden dokumentiert und als rund 20-minütige Geschichten weitererzählt. So wurden bereits über 22.000 Kinder und Jugendliche zu ZweitzeugInnen gemacht. Die Kinder sollen sich aktiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinandersetzen und für die Themen Holocaust, Antisemitismus sensibilisiert werden.

In analogen wie digitalen Bildungsprojekten, Ausstellungen, Veranstaltungen und Veröffentlichungen sollen vor allem Kinder und Jugendliche ab dem zehnten Lebensjahr angesprochen werden. Die Thematik wird dabei alters- und schulgerecht umgesetzt. „Wir bieten Projekte ab Grundschule, 4. Klasse bis ins Altenheim an. Das reicht von drei Schulstunden, über einen ganzen Schultag bis hin zu mehreren Tagen“, erklärt Katharina Müller-Spirawski.

Diverse Projekte werden derzeit überwiegend im Rheinland und Ruhrgebiet umgesetzt. Gefördert werden der Verein und die Projekte dabei auf ganz unterschiedlichen Wegen: Teilweise setzen sich Unternehmen ein, aber immer wieder auch Städte, Kreise, Stiftungen oder der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und die Aktion Mensch.

Trotz der Verbindung des Vereins nach Bünde – der Vereinssitz ist zwar in Essen, aber die Postadresse in Bünde - konnten im Kreis Herford und Bad Oeynhausen bisher noch keine nachhaltigen Projekte an Schulen realisiert werden, was Dahm und Obrok sehr bedauern: „Wir haben die Ressourcen und wir haben den Bedarf. Gerade jetzt ist Aufklärungsarbeit wichtig.“

Die beiden Landtagsabgeordneten haben sich auf die Fahnen geschrieben, den Verein bei uns im Kreis Herford bekannter zu machen. „Im Ruhrgebiet ist der Verein bereits gut unterwegs, wie uns einige LandtagskollegInnen berichtet haben. Die ehemalige Landtagspräsidentin Carina Gödecke ist außerdem Mitglied des Beirates. Wir brauchen die Angebote des Vereins auch bei uns im Kreis Herford und Bad Oeynhausen. Die ehemalige Geschäftsführerin wohnt in Bünde und ist nach wie vor aktiv im Verein unterwegs. Diese Synergien müssen wir auch für unsere Schulen vor Ort nutzen“, betont Christian Dahm. Christian Obrok begrüßt ein Engagement ebenfalls: „Wir brauchen ein Update für unsere Erinnerungskultur. Die Zweitzeugen können uns dabei helfen, viele Kinder auch bei uns im Kreis Herford und Bad Oeynhausen zu sensibilisieren. Wir haben kürzlich wieder erlebt, wie wichtig es ist, gemeinsam gegen das Vergessen zu arbeiten, als das Mahnmal für die ermordete Jüdin Franziska Spiegel geschändet wurde. Unsere Kinder und Jugendlichen müssen wissen, dass die Nationalsozialisten auch bei uns gemordet haben. Sie sollen wissen, warum wir sowas nie wieder erleben wollen. Und sie sollen wissen, dass wir gemeinsam gegen Antisemitismus einstehen müssen. ‚Nie wieder‘ ist jetzt!“

Dahm und Obrok sind sich einig: „Die „Zweitzeugen“ arbeiten präventiv, indem sie Schülerinnen und Schüler darin bestärken, sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung einzusetzen. Wir brauchen das im Kreis Herford auch!“

Beide Landtagsabgeordnete wollen sich nun dafür einsetzen, die Projekte der „Zweitzeugen“ an die heimischen Schulen zu holen.